Die Ampel hat sich auf Verschärfungen beim Bürgergeld verständigt, teilweise sogar härter als bei Hartz IV. Die frühere DGB-Vizevorsitzende Ursula Engelen-Kefer sieht darin einen großen Fehler. Sie kritisierte schon die Agendapolitik der rot-grünen Bundesregierung vor über 25 Jahren und die Einführung von Hartz IV und sagt: Die Ampel beerdigt ihr Prestigeprojekt Bürgergeld aus reinem Populismus.

ZEIT ONLINE: Frau Engelen-Kefer, die Spitzen der Ampel haben sich auf Verschärfungen beim Bürgergeld geeinigt. Kommt Hartz IV jetzt quasi zurück?

Ursula Engelen-Kefer: Ich finde: Ja. Das ist doch eine Rolle rückwärts in die schlimmsten Zeiten von Hartz IV und dem Arbeitslosengeld II. Arbeitslose sollen drei Stunden für den Weg zur Arbeit pendeln, Sanktionen kommen zurück, schon bei kleinsten Meldeverstößen sollen wieder 30 Prozent vom Existenzminimum gestrichen werden. Ich habe Arbeitsminister Hubertus Heil noch im Ohr: Das alles wollte er doch abschaffen. Jahrelang hat er gefordert, dass Arbeitslose in den Jobcentern auf Augenhöhe und mit Respekt behandelt werden. Dass der einzelne gestärkt werden soll. Ich konnte es am Ende schon nicht mehr hören. Und nicht einmal anderthalb Jahre nach Einführung des Bürgergelds sollen Arbeitslose zu jedweder Arbeit gezwungen werden. Das macht mich wütend!

ZEIT ONLINE: Der Arbeitsminister sagt, man müsse nachbessern. Was ist denn so falsch daran, auf Mitwirkungspflichten zu bestehen?

Engelen-Kefer: Ich bin nicht gegen Nachbessern. Hubertus Heil begründet dies mit den Erfahrungen nach anderthalb Jahren Bürgergeld. Aber zum einen wurde das Bürgergeld schrittweise eingeführt, viele positive Regelungen wie eine Förderung für Langzeitarbeitslose, die eine Weiterbildung machen, traten erst vergangenen Juli in Kraft. Die Zeit ist viel zu kurz, um ausgewogen beurteilen zu können, ob genug gefordert und gefördert wird. Es gab bislang auch keine valide Evaluierung. Gerade beim Fördern habe ich Zweifel. Denn die Mittel für die berufliche Eingliederung werden seit Jahren immer weniger.

ZEIT ONLINE: Das müssen Sie erklären.

Engelen-Kefer: Ich kenne die Bundesagentur für Arbeit von innen. In den Jobcentern werden schon länger Mittel aus der Arbeitsmarktpolitik für Verwaltung und Personal umgewidmet. Laut Bundesagentur-Chefin Andrea Nahles betrifft das sogar die Mehrheit der Jobcenter. Zu erklären ist das mit der Personalnot und damit, dass die Mitarbeitenden, die oft aus den Kommunen kommen, erst einmal qualifiziert werden müssen. Das kostet, aber mehr Geld gibt es nicht. Aus diesem Grund ist weniger Geld für die eigentliche Qualifizierung der Arbeitslosen vorhanden. Dabei wäre das so wichtig in Zeiten der Transformation und mit einem immer größer werdenden Fachkräftemangel.

ZEIT ONLINE: Mit verschärften Sanktionen werden keine riesigen Summen eingespart. Nur ein Bruchteil der Bürgergeldempfänger wird sanktioniert. Zuletzt waren es ein paar Tausend.

Engelen-Kefer: Das ist richtig. Bei der ganzen Bürgergelddebatte und früher bei Hartz IV geht es im Grunde darum, dass bei den Ärmsten gespart wird, das ist populistische Symbolpolitik. Wenn ich auf die letzten 60 Jahre Sozialpolitik in Deutschland zurückblicke, kann ich Ihnen sagen: Neiddebatten hat es immer gegeben. Es ist wie das Seeungeheuer von Loch Ness, es taucht immer wieder auf, ohne dass es eine reale Gefahr gibt. Auch heute werden in der Öffentlichkeit Neid und Missgunst gegen die Sozialleistungen für Langzeitarbeitslose und nun auch die Geflüchteten aus der Ukraine geschürt. Es ist Populismus, eine Gemengelage aus Politik, Ideologie und Wirtschaftsaspekten. Das Tragische ist heute, dass die AfD die Debatte wie ein Brandbeschleuniger anheizt, die CDU mit einem Ideologen wie Friedrich Merz darauf aufspringt und die FDP mitmacht, obwohl sie in der Regierung ist. Aber der FDP war Sozialpolitik schon immer ein Dorn im Auge.

ZEIT ONLINE: Heute gibt es doch nur wenig Arbeitslose, vor allem wenig Langzeitarbeitslose. Der Arbeitsmarkt braucht im Gegenteil jede Arbeitskraft. Können Sanktionen da nicht helfen?  

Engelen-Kefer: Nein, im Gegenteil. Sanktionen zwingen Menschen, jedweden Job, meist auch unterhalb ihres Qualifikationsniveaus, anzunehmen – und entziehen sie damit dem Arbeitsmarkt als potenzielle Fachkräfte. Die Ukrainerinnen etwa sind oftmals gut ausgebildet. Es ist nachvollziehbar, dass diese Frauen gern auf ihrem Qualifikationsniveau arbeiten möchten, und dafür sind ausreichende Sprachkenntnisse erforderlich. Außerdem fehlen ihnen, wie allen arbeitenden Müttern hierzulande, ausreichende Betreuungsangebote für die Kinder. Hinzu kommt, dass die Langzeitarbeitslosigkeit sich strukturell verändert hat. Die Langzeitarbeitslosen von heute sind meistens Menschen mit vielfältigen sozialen Problemlagen. Diese Menschen benötigen gezielte Förderung, passgenaue Angebote – und dennoch wird man nicht alle in ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis vermitteln können.