Frank Karlitschek fühlt sich unfair behandelt. Einmal im Monat sortiert der Unternehmer deshalb die Informationen, die er über seinen Konkurrenten zusammengetragen hat, und wählt sich in eine Videokonferenz ein. Den Vertretern der EU-Kommission, die auf den Bildschirmen erscheinen, versucht er dann zu belegen, warum das wertvollste Unternehmen der Welt gegen die Regeln verstößt  – und damit seiner eigenen Firma schadet.

Der Gegner, den sich der Softwareunternehmer aus Stuttgart vorgeknöpft hat, könnte kaum mächtiger sein. Microsoft, der Anbieter von Programmen wie Word, Excel, Powerpoint und vielem mehr, dominiert den Markt für Bürosoftware. 85 Prozent der deutschen Unternehmen nutzen laut einer Studie von Nielsen Company die Office-Produkte von Microsoft. Und genau da liegt das Problem. Denn auch Frank Karlitscheks Unternehmen Nextcloud bietet Bürosoftware an. Mit den Diensten von Nextcloud können Unternehmen etwa Daten in der Cloud speichern oder über Video telefonieren. Das macht ihn zu einem direkten Konkurrenten von Microsoft. Nur dass der Konzern, so lautet Karlitscheks Vorwurf, seine Macht missbrauche und sich im Wettbewerb illegal Vorteile verschaffe. Und damit keinen Platz mehr lässt für einen kleinen Anbieter wie ihn.

Warum zahlen, wenn man es umsonst dazu kriegt?

Karlitschek geht es unter anderem um Microsoft Teams, eine Anwendung, mit der sich Menschen über Video oder Chat austauschen können. Bis vor Kurzem konnten Kundinnen und Kunden die Software nur im Paket mit anderen Office-Anwendungen wie Word und Excel kaufen. Eine Bündelung von Produkten nennt sich das. Wer Kunde von Microsoft war, bekam seit dem Jahr 2017 Teams einfach gratis mit dazu. Weil eine kleine Firma wie Nextcloud sich das nicht leisten könne, sei der Wettbewerb zwischen den Unternehmen nicht mehr fair, meint Karlitschek. Das sehen auch andere Unternehmen so, darunter große Anbieter von Kommunikationssoftware wie Slack, das bereits 2020 Beschwerde bei der EU-Kommission eingelegt hat.

In den Verhandlungen mit Kunden habe er Microsofts Produktbündelung direkt gespürt, sagt Karlitschek. "In etwa der Hälfte der Kundengespräche kam die Frage auf, warum man für Nextcloud bezahlen sollte", sagt er. Denn die meisten Unternehmen bräuchten Microsoft ohnehin für das Windows-Betriebssystem und die Office-Anwendungen. Seien dann Dienste wie ein Cloud-Speicher oder Teams kostenlos dabei, entziehe man anderen Anbietern wie Nextcloud die Existenzgrundlage. Karlitschek, dessen Unternehmen seit dem Jahr 2016 Cloud-Dienste und seit dem Jahr 2020 eine Konkurrenzsoftware zu Teams anbietet, schätzt, dass sich das Umsatzpotenzial seines Unternehmens dadurch halbiert habe.

Der Verband der Anbieter von Cloud-Infrastrukturdiensten in Europa (Cispe) teilt die Kritik. Europäische Cloud-Anbieter würden durch Microsofts unfaire Methoden vom Markt verdrängt, sagt Verbandschef Francisco Mingorance. "Dem muss ein Ende gesetzt werden."

Frank Karlitschek legte im Jahr 2021 bei der EU-Kommission eine Kartellbeschwerde gegen Microsoft ein. Seitdem liefert er den EU-Beamten einmal im Monat die Indizien für seinen Verdacht. Die Beharrlichkeit des Nextcloud-Chefs und die seiner Verbündeten könnten sich nun ausgezahlt haben – und Microsoft in ernsthafte Schwierigkeiten bringen.

Denn Ende Juni sprachen die EU-Wettbewerbshüter eine Warnung an Microsoft aus. Der Konzern besitze eine marktbeherrschende Stellung und verstoße mit der Bündelung seiner Bürosoftware gegen EU-Kartellvorschriften, heißt es aus Brüssel. Die mögliche Strafe: bis zu zehn Prozent des weltweiten Umsatzes. Wenn man das auf Microsofts Umsatz aus dem Jahr 2023 bezieht, wären das immerhin mehr als 20 Milliarden US-Dollar.