Man kann es als Verhängnis betrachten, dass Menschen vor 8.000 Jahren begannen, Städte zu bauen. Dass sie für die steigende Zahl der Bewohner immer mehr Nahrung benötigten. Dass sie ihr Vieh auf Weiden und in Wohnhäusern zusammenpferchten. Dass Mensch und Tier einander immer näher kamen.

Virologen sehen das so.

Wenn viele mögliche Wirte eng zusammenrücken, sind das aus der Perspektive von Viren beste Bedingungen. Dann können sie sich leicht verbreiten und zu neuen Varianten mutieren. Dann kann ihnen auch der Sprung vom Tier auf den Menschen gelingen. Zoonose nennen Experten einen solchen Unglücksfall der Evolution.

Aus Virologensicht ist es kein Zufall, dass der Erreger der Rinderpest zum menschlichen Masernvirus mutierte, als der Städtebau begann. Aktuell dominiert ein Ausbruch der Vogelgrippe bei Rindern die Nachrichten.

In China steht der weltgrößte Stall, mit Platz für 1,2 Millionen Schweine

Virologen betrachten aber vor allem das Nutztier Schwein mit Argwohn. Die tödlichen Erreger der Spanischen Grippe von 1918, die der Asiatischen Grippe von 1957, der Hongkong-Grippe von 1968 – all diese Virusvarianten sind im Schwein entstanden und auf den Menschen übergesprungen. Die Tiere können von verschiedenen Grippeviren gleichzeitig befallen werden. Dabei mischen die Viren ihr Erbgut – und erwerben neue Fähigkeiten.

Diese Erkenntnisse sind nicht neu. Konsequenzen haben sie nicht. Menschen essen mehr Fleisch, bauen größere Ställe, pferchen mehr Tiere zusammen. In China steht am Rande der Stadt Ezhou der weltgrößte Schweinestall, ein 26-stöckiger Hochhauskomplex mit Platz für 1,2 Millionen Tiere. Einer der größten Milchviehställe findet sich ausgerechnet in der Wüste Saudi-Arabiens. Draußen herrschen bis zu 55 Grad Außentemperatur. Drinnen wird die Luft für 50.000 Holsteiner Kühe auf 27 Grad heruntergekühlt. Der womöglich größte Hühnerstall entsteht gerade in Kroatien. Die Petrinja Chicken Company will in einer Stallanlage ab 2025 pro Jahr 94 Millionen Tiere mästen.

Auch wenn in Deutschland der Fleischkonsum leicht rückläufig ist, weltweit steigt der Pro-Kopf-Verbrauch. Die Welternährungsorganisation erwartet für 2024 eine globale Fleischproduktion von 370,7 Millionen Tonnen, 100 Millionen Tonnen mehr als im Jahr 2000. Die Fleisch-Konjunktur hat (mindestens) eine bittere Kehrseite: Mit der Masse der Tiere wächst das Risiko von Zoonosen.

1997 infizierte ein Vogelgrippevirus des Subtyps H5N1 bei einem Ausbruch in Geflügelställen und auf Märkten in Hongkong 18 Menschen. Sechs von ihnen starben. Die Behörden ließen mehr als 1,5 Millionen Hühner, Enten und Gänse töten.

Anfang dieses Jahres gelang einem Vogelgrippevirus desselben Subtyps in den USA der Sprung auf Milchkühe. Vier Menschen haben sich bisher infiziert. Das Landwirtschaftsministerium reagierte erst Ende März und war vor allem bemüht, den wirtschaftlichen Schaden zu begrenzen. Inzwischen hat sich das Virus von Texas im Süden bis an die kanadische Grenze im Norden der USA verbreitet.

Epidemiologen fordern in solchen Fällen schärfere Kontrollen, Transportverbote oder Hygienemaßnahmen. Die Weltgesundheitsorganisation will – auch als Lehre aus der Coronapandemie – ihre Mitgliedsstaaten per Vertrag auf die sofortige Meldung von Ausbrüchen und den offenen Austausch wissenschaftlicher Daten verpflichten.

Doch das ist nur die Reaktion auf ein wachsendes Pandemie-Risiko, das von Massentierhaltung und Umweltzerstörung getrieben wird. Echte Vorsorge sähe anders aus. Sie müsste die letzten noch weitgehend unberührten Regionen des Planeten unter Schutz stellen. Und sie müsste der irrigen Annahme begegnen, dass regelmäßiger Fleischkonsum ein Zeichen gesunder und ausgewogener Ernährung, ein Zeichen von Wohlstand ist.

Die Tierhaltung braucht aus vielen Gründen eine Kehrtwende. Neben dem Schutz von Tier und Umwelt gehört auch der Schutz des Menschen dazu. Kleinere, tiergerecht gehaltene Bestände, die nicht nur auf maximale Milch-, Lege- oder Fleischleistung gezüchtet sind, sind widerstandsfähiger gegen Krankheitserreger. In einer regionalen Haltung ohne ausufernde Tiertransporte ließe sich ein möglicher Ausbruch besser eindämmen.

Und wem das Pandemie-Risiko als Argument für einen Fleischverzicht zu abstrakt ist, für den gibt es eine ganz persönliche Nachricht: Weniger Fleisch zu essen, schützt jeden einzelnen Menschen vor einer sehr konkreten Gesundheitsgefahr.