Erst meint man, da sei mal so richtig durchgegriffen worden. In einem Ermittlungsverfahren des amerikanischen Justizministeriums hat sich Boeing, Flugzeugbauer und Ikone der amerikanischen Industrie, Anfang der Woche des Betruges schuldig bekannt. So ein Eingeständnis eines Konzerns kommt nicht häufig vor. Das Verfahren, um das es hier geht, war aber auch ein besonderes. Es stand im Zusammenhang mit den Abstürzen zweier Boeing-Maschinen vor fünf Jahren, bei denen 346 Menschen ums Leben kamen.

So groß die Sache mit dem Schuldbekenntnis auch klingt: Wenn man genauer hinschaut, sind die Folgen für den Konzern überschaubar. Boeing muss 244 Millionen Dollar Strafe zahlen, was das Unternehmen angesichts eines Jahresumsatzes von zuletzt knapp 78 Milliarden Dollar wohl verkraften kann. Es muss versprechen, zukünftig mehr für Sicherheit und Qualität zu tun. Außerdem wird ein externer Inspektor eingesetzt, der drei Jahre lang die internen Abläufe des Unternehmens überwachen soll.

Auch das Schuldeingeständnis selbst war eingeschränkt. Der Konzern räumt darin ein, dass zwei Mitarbeiter staatliche Kontrolleure hinters Licht geführt hätten. Es werden keine weiteren Vorwürfe im Zusammenhang mit diesen Flugzeugabstürzen angesprochen. So etwas hätte in einem Gerichtsverfahren überhaupt erst mal erhoben und erhärtet werden müssen, doch das freiwillige Schuldbekenntnis verhindert genau ein solches Verfahren. Boeing hat lediglich die Einigung mit den Justizbehörden gemeldet und sich nicht weiter zu der Angelegenheit geäußert.

In einem richtigen Prozess hätte für Boeing auch die Gefahr bestanden, dass weitere unangenehme Details über das Geschäftsgebaren ans Licht gekommen wären. Und das rasche Schuldeingeständnis hat etwas Weiteres verhindert: Es gibt jetzt keine Möglichkeit mehr, dass Verantwortliche aus der Führungsetage persönlich zur Rechenschaft gezogen werden können.

Die Angehörigen der Absturzopfer zeigten sich dementsprechend bitter enttäuscht. Überraschend war es jedoch nicht, dass sich das Justizministerium auf den Deal einließ. (Ein Richter muss das Ganze noch absegnen.)

In den USA gilt Boeing, wie einst die Großbanken in der Finanzkrise, als too big to fail – zu groß, um fallen gelassen zu werden. Der Flugzeugbauer beschäftigt allein in den USA 150.000 Mitarbeiter. Für die weitere Aufrüstung der USA ist Boeing ebenso unverzichtbar wie für die zivile Luftfahrt. Wenn man Boeings Ausfuhren von Flugzeugen und Rüstungsgütern zusammenzählt, ist der Konzern, gemessen am Dollarwert, der größte Exporteur der USA. Zusammen mit dem europäischen Erzrivalen Airbus bildet das Unternehmen ein weltweites Duopol.

Hinzu kommt noch eine weitere Sache: Aus US-Sicht spielt der Konzern auch bei der zunehmenden Rivalität mit China eine wachsende Rolle. Der von Peking unterstützte Flugzeugbauer Comac versucht nämlich schon lange, mit seiner C919 der 737 Max und der A320 Konkurrenz zu machen. Eine andauernde Schwäche bei Boeing würde den Chinesen endlich die Chance geben, sich als ernst zu nehmender Player zu etablieren.

Und das alles war den Ermittlern des Justizministeriums, den Aufsehern und Senatoren in Washington offenbar sehr bewusst – so auffällig schnell, wie das Verfahren vorüber war und Boeing eine weiche Landung ermöglichte.