I Love You So F***ing Much

I Love You So F***ing Much

Für Glass Animals war das 2020 erschienene Album „Dreamland“ ein Erfolg, den sich viele andere Bands gar nicht vorstellen können. Nicht nur, dass es Spitzenplätze in den Hitparaden erreichte und zahlreiche Edelmetallauszeichnungen erhielt. Mit „Heat Waves“ fand sich darauf auch ein Song, der mit etwas Anlauf zum weltweiten Hit wurde. Das Album erschien jedoch während der Pandemie. Für Bandleader Dave Bayley ging mit der neuen Berühmtheit deshalb ein Gefühl der Entfremdung einher. „Das war eine wirklich grossartige Sache und etwas, das wir niemals erwartet hatten. Wir selbst waren aber kein Teil davon“, erzählt er. „Es fühlte sich nicht real an, sondern da war etwas sehr Distanziertes. Damit fing diese existenzielle Krise an.“ Dass die Tour zum Album unter strengsten COVID-Sicherheitsmassnahmen stattfand, half da nicht wirklich weiter. Mehr noch: Als die Konzertreise zu Ende war, erwischte es Bayley selbst. Das Virus streckte ihn nieder, er musste sich in Quarantäne begeben. Während Gewitter über Kalifornien fegten, sass er alleine in einem angemieteten Haus in den Hügeln über Los Angeles. Doch als Bayley auf die glitzernden Lichter der Stadt herabblickte, kam ihm der Aha-Moment, der letztendlich zu „I Love You So F***ing Much“ führte. „Ich hatte schon einmal versucht, ein Weltraumalbum zu machen, aber es war einfach zu unterkühlt. Es fühlte sich nicht menschlich oder nahbar genug an“, sagt er über seine Pläne, ein gross angelegtes, nach Science-Fiction klingendes Werk aufzunehmen. „In diesem Haus zu sein, rückte die Dinge wortwörtlich ins rechte Licht. Ich blickte hinaus und sah all diese Menschen herumlaufen: Familien, Leute an den Tankstellen, die sich stritten. Man beobachtet diese menschlichen Beziehungen, und wie komplex und wichtig sie sind. Plötzlich erkennt man deren Wert. Diese Beziehungen und diese Gefühle sind relevanter als alles andere. Die kleinen Dinge, die man direkt vor Augen hat, besitzen viel mehr Bedeutung.“ Das Ergebnis ist ein Album, das den gewaltigen Umfang von Bayleys Sci-Fi-Produktionsvisionen mit einigen seiner bisher persönlichsten Songtexte verbindet. Vom Opener „Show Pony“ mit seinen sonnendurchfluteten Betrachtungen der Liebe über die futuristische Klaustrophobie von „A Tear in Space (Airlock)“ bis hin zur sanften Landung im Schlusstrack „Lost in the Ocean“ zeichnet „I Love You So F***ing Much“ ein genaues Bild von der Menschheit und deren Platz im Universum. Hier führt dich Bayley Track für Track durch das Album. „Show Pony“ Während wir aufwachsen, entwickeln wir alle bestimmte Vorstellungen von Liebe. Dabei wissen wir noch gar nicht, was Liebe überhaupt ist. Wir erleben sie, nehmen sie in uns auf, sehen sie und entwickeln eine märchenhafte Idee davon, was sie wohl ist und wie Beziehungen sein sollten. Bevor man die Liebe richtig erlebt hat, erschafft man bereits im Kopf ein Bild von ihr. Dieser Song fasst zusammen, wie ich selbst mir in meiner Jugend die Liebe vorgestellt habe. Wie ich sie wahrnahm und damals vielleicht in einer Kurzgeschichte verpackt hätte. Das ist fast so etwas wie das Inhaltsverzeichnis des Albums. „whatthehellishappening?“ Als ich den Text schrieb, dachte ich, es ginge um dessen Inhalt. Man befindet sich in einer Situation und wird davon schlichtweg mitgerissen. Es ist ziemlich überwältigend, aber man verspürt Freude. Oder vielleicht versucht man, sich selbst davon zu überzeugen, dass man Freude daran hat. Nachdem ich damit fertig und wieder aus Amerika nach England zurückgekehrt war, kam mir ein weiterer Aspekt in den Sinn: Es ist so ähnlich, wie wenn man in den Kofferraum eines Autos geworfen wird. Es gibt eine Parallele zwischen mir, der in diesem Haus festsitzt, und der Person, die im Kofferraum dieses Autos steckt und völlig hilflos ist. Der Text handelt davon, wie komplex diese Situation ist und dass diese Hilflosigkeit eigentlich erstaunlich ist. Man ist nicht Herr der Lage, und das macht den Reiz und die Aufregung aus. Man muss keine Entscheidungen treffen. Man trägt keine Verantwortung mehr. Man kann sein, wer man will, sagen, was man will, völlig offen sein und jeden Fehler machen. Man hat eine Ausrede, weil man gekidnappt und in ein Auto gesteckt wurde. „Creatures in Heaven“ Dieser Song ist sehr persönlich. Ich trieb mich selbst zu Zärtlichkeit und Verletzlichkeit an und legte alles so unverhüllt wie möglich dar. Er soll aufzeigen, wie kleine Momente dein Leben komplett umkrempeln können. Vielleicht ist da eine Sekunde, in der du etwas nicht gesagt hast, und du bereust es für den Rest deines Lebens. Es verändert für immer jede Entscheidung, die du in einem ähnlichen Kontext treffen wirst. Es geht darum, nachzuzeichnen, wie zerbrechlich und verwundbar diese Momente sind. Das ist ein sehr emotionales Thema. Für mich ist die Geschichte sehr persönlich. Ich hoffe, dass die Leute dabei an Situationen in ihrem eigenen Leben denken können. „Wonderful Nothing“ Der Song behandelt Hass als eine Form der Liebe. Das ist eine sehr komplexe Angelegenheit. Wer eine Person hasst, muss sie gleichzeitig lieben. Und wer liebt, hasst die Person vielleicht auch ein Stück weit. Die beiden Seiten sind stark miteinander verbunden. Ich denke, aus dieser Komplexität und Zweiseitigkeit ergab sich [im Track] ein ebenso komplexes und in zwei Richtungen weisendes Arrangement, das immer wieder kippt. Es erforscht die Dualität und beide Aspekte. Das war die Idee, und ich habe versucht, damit ein bisschen Spass zu haben. „A Tear in Space (Airlock)“ Ich wollte, dass dieser Song so klingt, als würde ihm die Luft abgesaugt. Es dreht sich alles darum, in Spalten gedrängt zu werden, durch sie hindurch zu fallen und vergessen zu werden. Und, supernerdig: Es gibt die [Studiotechnik] Sidechain-Kompression. Sie presst alles zusammen, das Ergebnis hört sich sehr druckvoll an. Das kann eine wirklich schäbige Produktionstechnik sein, sie wird in vielen modernen Popsongs überstrapaziert. Ich brauchte einen Grund, um diese Technik zu rechtfertigen. Ich glaube, ich bin hier damit durchgekommen, weil der Kontext von Songtext, Geschichte und Lied es zulässt. Es unterstreicht diesen Gesichtspunkt des Textes. „I Can’t Make You Fall in Love Again“ Dies ist wahrscheinlich der roheste Moment auf dem Album. Ich fühlte mich dabei so unwohl, dass ich den Song eine Zeit lang gar nicht in die Tracklist nehmen wollte. Er erinnerte mich an gewisse Dinge, über die man nicht so gerne nachdenkt. Der Song dreht sich genau um das, was der Titel aussagt, in dieser Hinsicht ist er ziemlich unverblümt: Man kann nicht alles reparieren. Egal, wie sehr man sich wünscht, dass es irgendwo Liebe gibt, man hat nicht wirklich die Wahl. Es liegt nicht an einem selbst. Das ist eine ziemlich bittere Einsicht. „How I Learned To Love The Bomb“ Hier geht es um die Erkenntnis, dass es eine Seite an jemandem gibt, die man noch nie zuvor wahrgenommen hat. Wenn sie dann zum Vorschein kommt, ist das in seiner Düsterkeit verdammt beängstigend. Du stellst dir nur diese Frage: Erregt dich das? Bist du psychopathisch, weil es dich ein bisschen erregt? Ist die andere Person psychopathisch, weil sie es vor dir verheimlicht? Wer ist hier psychopathisch? Wir alle. Ich weiss nicht, ob das die Schlussfolgerung ist, aber es ist eine interessante Frage. Einerseits ist es absolut aufregend, andererseits ein gefährliches Terrain. Du solltest verdammt nochmal weglaufen. „White Roses“ „I Can’t Make You Fall in Love Again“ handelt davon, dass man nicht in der Lage ist, die Gefühle einer anderen Person zu ändern. In „White Roses“ geht es darum, dass eine andere Person nicht in der Lage ist, deine Gefühle zu ändern, obwohl du das eigentlich möchtest. Du willst der Person so viel geben, wie du kannst, und du willst, dass sie glücklich ist. Du liebst sie, und du denkst, sie ist das Beste auf der Welt. Aber etwas in dir fühlt das einfach nicht. Es ist fast so, als ob die Person aus „I Can’t Make You Fall in Love Again“ „White Roses“ geschrieben hätte, und die beiden stünden sich jetzt gegenüber. „On the Run“ Hier findet sich die Textzeile: „Thanks for all the fish …“ Douglas Adams und sein „Per Anhalter durch die Galaxis“ beeinflussten dieses Album sehr [„So long, and thanks for all the fish“ ist eine Zeile aus dem Buch und wurde zum Titel des vierten Romans der Serie. Der deutsche Titel lautete „Macht’s gut, und danke für den Fisch“]. Ich liebe das Buch und ich liebe das alte Hörspiel. Für den Soundtrack dazu wurden viele Zaubermittelchen des „Radiophonic Workshop“ der BBC verwendet [eine der ersten Toneffekt-Abteilungen der BBC]. Ich nutzte tatsächlich auf diesem Album viel von deren Equipment, hatte ein paar der Synthesizer und diese verrückten Space-Age-Biester gekauft. Die Idee für den Sound des Albums war es, all das Zeug aus den 1950er-, 1960er- und 1970er-Jahren für futuristische Klänge zu gebrauchen. Nun besitze ich viel zu viel davon. Es funktioniert nie. Ich habe viel Zeit mit einem Lötkolben verbracht, um die Teile zum Laufen zu bringen, aber am Ende hat es sich gelohnt. „Lost in the Ocean“ Das ist die Schlussfolgerung, die wir aus all dem gezogen haben. Das Raumschiff ist buchstäblich im Meer gelandet. So gesehen ist das ein Brief an mich selbst. Man muss nicht unbedingt alles verstehen, was passiert ist. Eher möchte ich sagen, dass alles Chaos ist – und das ist aufregend! Es ist gut, sich daran zu erinnern, dass es kleine Details gibt und diese nie verschwinden werden. Sie werden dich immer wieder auf den Boden der Tatsachen zurückholen.

Wähle ein Land oder eine Region aus

Afrika, Naher Osten und Indien

Asien/Pazifik

Europa

Lateinamerika und Karibik

USA und Kanada