Warum gibt's in Deutschland eigentlich so wenige Börsengänge?

Warum gibt's in Deutschland eigentlich so wenige Börsengänge?


Gestern ist mit IONOS das erste Mal seit längerem wieder ein respektables Tech-Unternehmen an die Deutsche Börse gegangen (Glückwunsch an dieser Stelle an Achim Weiss , Arthur Mai und die vielen anderen Kollegen von IONOS). Nur schade, dass das Debüt eher durchwachsen war - erst am unteren Ende der Bookbuilding-Spanne (EUR 18,50-22,50) und dann verlor die Aktie des deutschen Hosting-Anbieters zunächst weitere 4%. Seltsam, denn der große US-Konkurrent GoDaddy wird mit dem dem 3,4-fachen des Umsatzes bewertet (IONOS nur bei ~2.0x), obwohl IONOS stärker wächst und ähnlich profitabel war.


Schön, dass IONOS an die Frankfurter Börse geht, aber sie stehen sehr alleine - und daher symptomatisch für ein größeres Problem: Warum gibt es in Deutschland eigentlich so wenige Börsengänge (englisch IPOs = Initial Public Offerings)?


Eine Studie des Handelsblatt Research Institutes hat gezeigt, dass es im Jahr 2020 nur 12 IPOs in Deutschland gab, in den USA im selben Jahr über 200! Diese geringe Anzahl an IPOs in Deutschland kann auf eine Kombination aus wirtschaftlichen Umständen und den Merkmalen des Unternehmens zurückzuführen sein.


Neben wirtschaftlichen Umständen spielen auch Faktoren wie das Alter und die Größe des Unternehmens eine Rolle. Start-ups und junge Unternehmen sind oft nicht bereit für einen IPO, da sie noch nicht über die nötige Finanzkraft und stabile Geschäftsmodelle verfügen. Auch große, etablierte Unternehmen können sich entscheiden, nicht an die Börse zu gehen, wenn sie ihre Finanzierung auf andere Weise sicherstellen können.


Ein weiterer Faktor, warum es so wenige IPOs in Deutschland gibt, ist, dass die meisten IPOs in den letzten Jahren Auskoppelungen von Unternehmen waren, die bereits an der Börse gelistet waren (also "Spin-Offs", genau wie jetzt bei IONOS), anstatt ganz neue Unternehmen zu sein. Dies kann darauf zurückzuführen sein, dass große Konzerne ihre Tochterunternehmen als separate Unternehmen an die Börse bringen, um ihre Finanzierung zu verbessern und ihr Geschäft zu fokussieren. Dies kann die Anzahl an neuen Unternehmen, die an die Börse gehen, verringern.


Trotzdem bleibt die Frage, warum die Börse keine neuen Unternehmen anziehen kann. Eine mögliche Antwort ist, dass die Anforderungen an einen erfolgreichen IPO hoch sind. Unternehmen müssen eine gute finanzielle Leistung und ein stabiles Geschäftsmodell nachweisen, um potenzielle Investoren zu überzeugen. Darüber hinaus müssen sie auch den Aufwand und die Kosten, die mit einem IPO verbunden sind, berücksichtigen.


Deutschland hat einen starken Mittelstand, aber trotzdem scheint es schwierig zu sein, diese Unternehmen für die Börse zu begeistern. Eine mögliche Erklärung dafür ist, dass viele mittelständische Unternehmen in Familienbesitz sind und die Eigentümer nicht bereit sind, einen Teil ihrer Kontrolle abzugeben. Stattdessen bevorzugen sie es, das Unternehmen selbst zu führen und es an die nächste Generation weiterzugeben. Andere mittelständische Unternehmen können sich auch unsicher sein über die Vorteile, die ein IPO bieten kann, und den Aufwand, der damit verbunden ist. Diesen Punkt kann ich übrigens persönlich sehr nachvollziehen. Ich war von 2009-2012 CEO der börsennotierten Sedo AG. Anfänglich ging für mich - damals gerade gut dreißig Jahre alt - ein Traum in Erfüllung den viele Gründer haben ("einmal CEO eines börsennotierten Unternehmen"), ich war aber schnell disillusioniert: die Aktienlistung war teuer, aufwändig, erhöhte primär Bürokratie und Compliance-Anforderungen. Und wirklich großes Interesse gab es für unsere (mit ~400 Mio € Marktkapitalisierung zugegebenermaßen auch kleine) Aktie nicht. Heute bin ich viel vorsichtiger, bevor ich Gründern vorschnell rate, an die Börse zu gehen. Denn abgesehen davon, dass es als Königsweg gilt, und frühen Investoren und Mitarbeitern Liquidität verschafft, halten sich meiner Meinung nach die Vorteile durchaus in Grenzen.


Ein weiterer Faktor, der die Attraktivität von IPOs für mittelständische Unternehmen beeinträchtigen kann, ist die mangelnde Liquidität an den deutschen Aktienmärkten. Laut einer Studie des World Economic Forum aus dem Jahr 2018 war Deutschland im Vergleich zu anderen europäischen Ländern bei der Liquidität seiner Aktienmärkte schlechter positioniert. Dies kann dazu führen, dass es für mittelständische Unternehmen schwieriger ist, potenzielle Investoren zu finden, und dass sie eine höhere Prämie für ihre Aktien zahlen müssen. Das kann genau auch den Bewertungsunterschied im Fall IONOS vs. GoDaddy erklären - US-Bewertungen sind oft höher, was natürlich US-Märkte wieder attraktiver macht für börsenwillige Unternehmen. Ein Teufelskreis.


Zusammenfassend gibt es eine Reihe von Gründen, warum es in Deutschland so wenige IPOs gibt. Dazu gehören die Vorliebe für spin-off-IPOs, die Anforderungen an einen erfolgreichen IPO, das Fehlen von Interesse seitens des Mittelstands und mangelnde Liquidität an den deutschen Aktienmärkten. Um die Attraktivität von IPOs in Deutschland zu erhöhen, könnten Maßnahmen ergriffen werden, um die Liquidität an den Aktienmärkten zu verbessern und den Mittelstand für die Vorteile von IPOs zu sensibilisieren.

Andrii Lytvyn

Business development | Entrepreneurship | Product development

1 Monat

Tim, thanks for sharing!

Danijel Višević

General Partner and Co-Founder World Fund

1 Jahr

Ein weiterer Grund, aber ich werfe das mal als Frage rein: Zu viele kleine Börsen in den jeweiligen Ländern Europas? Viele kleine Märkte. Hier wieder der US-Vorteil, dass sie Vereinigte Staaten sind und wir nur eine Union haben.

Andreas Schulz

Offenheit. Aufrichtigkeit. Souveränität. Management-Unterstützung für anspruchsvolle Situationen beratend & ad Interim

1 Jahr

Ich glaube das hat u.a. etwas mit der Wirtschaftsstruktur in Deutschland zu tun. Wir haben viele Familienunternehmen, die aus Leidenschaft oder Not gegründet wurden. Sozusagen als Mittel zum Zweck und dann sehr erfolgreich wurden. Es geht den meisten Unternehmern in Deutschland m E. nicht um die Kapitalisierung ihrer Leistung, sondern um langfristige Wertschöpfung. Für die Familie und die Region. Deshalb bleibt man lieber eine GmbH oder ähnliches. Hinzukommt, dass der Shareholder-Value-Ansatz der 90er zu vielen fragwürdige Entwicklung in Unternehmen geführt hat und die nicht unserer bisherigen Unternehmerkultur passen. Bisher ist man einen Börsengang nur dann forciert, wenn man viel Geld zur schnellen Expansion benötigte oder wenn man als Familie aus dem Business aussteigen wollte. So würde ich deine Frage beantworten Tim, wobei mich andere Ansichten auch sehr interessieren.

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